Freiheiten für Geimpfte! Das wäre Solidarität.

Veröffentlicht von KONTRA Redaktion am

Das einzige Argument ist vom Tisch. Das Argument gegen die sogenannten Sonderrechte für Geimpfte ist wissenschaftlich weggefegt worden. Eine britische Studie belegt, dass Menschen, die gegen Corona geimpft sind, das Virus auch nicht mehr übertragen können. Die Politik drückte sich über Monate vor der Debatte, was für Geimpfte erlaubt sein soll, „weil man sowieso nicht wisse, ob sie noch ansteckend sind“. Dahinter kann sich jetzt niemand mehr verstecken.

Wie steht es nun um die Freiheit von Geimpften? Wären Einschränkungen rechtlich weiter gerechtfertigt, oder sind sie bloß erzwungene Gesten der Solidarität, gar Ergebnis einer Neidgesellschaft? Neid auf Grundrechte?

Zuallererst muss begrifflich aufgeräumt werden: Beim Ausleben von Freiheiten aus Grundrechten handelt es sich in keinem Fall um Privilegien oder Sonderrechte. Grundsätzlich hat jede:r Anspruch auf seine verfassungsrechtlich garantierten Freiheiten. Sie ausleben zu dürfen ist der Normalzustand. Eine Rückkehr zum Normalzustand – auch von Einzelnen – ist also kein Privileg und kein Sonderecht, sondern eine Wiedererlangung des grundrechtlichen Status quo ante. Eine Rückkehr zum Normal.

ABER Grundrechte müssen eingeschränkt werden. Ja, der Staat und die Regierungen sind sogar verpflichtet, die Freiheiten vieler zugunsten anderer Güter mit Verfassungsrang einzuschränken. Ein Grundrechtseingriff muss stets gerechtfertigt sein. Das bedeutet, dass er insbesondere geeignet sein, um das Ziel, also den Grund der Grundrechtseingriffe, zu verfolgen. Bei Corona ist dies der Infektionsschutz, Gesundheitsschutz und mittelbar das Rechtsgut Leben. Der Eingriff muss nicht nur geeignet, sondern auch verhältnismäßig, also angemessen sein. Nahezu alle Maßnahmen in dieser Pandemie hielten diesen Anforderungen stand. Manche wenige, wie kuriose Quadratmeterregeln, wurden von Gerichten gekippt. Die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Läden war verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Solche Entscheidungen zeigten – anders als so Manche behaupten -, dass unser Rechtsstaat funktioniert. Das ist gut.

Eingriffe bei Geimpften geeignet?

Nun aber zu den Grundrechtseingriffen bei Geimpften. Wie gesagt müssten die Regeln geeignet sein, um den Gesundheitsschutz zu fördern. Geimpfte können selbst nicht erkranken – zumindest nicht sterben. Das ist der Sinn einer Impfung. Als Argument für die Rechtfertigung der Einschränkungen der Geimpften – auch in Gerichtsurteilen – diente stets, dass man nicht weiß, ob sie das Virus noch in sich tragen und damit andere anstecken können. Völlig klar, wenn es so wäre aber auch in der Zeit, in der man Gegenteiliges nicht wusste, waren die Maßnahmen zumindest hypothetisch geeignet, um die Infektionsgefahr zu senken.

Durch die Oxford-Studie herrscht Klarheit: Menschen, die durch eine Impfung eine Immunisierung erfahren haben, sind keine Überträger der Krankheit.

Damit liegt auf der Hand, dass Regeln, die zur Eindämmung der Pandemie verhängt sind, bei der Anwendung auf Geimpfte nicht geeignet sind, um die Infektionszahlen und deren mittelbaren Folgen zu reduzieren. Freiheitseinschränkungen gegenüber Geimpften sind nicht geeignet und wären mithin nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Die Politik würde sich einen Gefallen tun, entsprechende Regeln und Konzepte zu entwerfen, mit denen man diesem Ergebnis gerecht wird, bevor die Gerichte Urteile sprechen, die einzelnen Geimpften ihre Freiheiten zurückgeben. Das würde die ohnehin schon in schlechtem Licht stehende Krisenpolitik in die Enge treiben.

Dieses Ergebnis kann man kritisieren. Die Richter sind aber nur an geltendes Recht gebunden. Und das besagt, dass Grundrechte nur eingeschränkt werden dürfen, wenn ein Eingriff geeignet und verhältnismäßig ist. Die Gerichte orientieren sich an festen Normen, nicht an gesellschaftlichen Meinungen, die Solidarität oder ähnliches beschwören. Die Justiz ist von solchen Konventionen grundsätzlich unabhängig. Das ist ein Rechtsstaat.

Sollten sich trotzdem alle weiterhin an alle Beschränkungen halten, bis die Pandemie vorbei ist? Bei manchen Regeln wie der Maskenpflicht ist das geboten. Nicht aus Solidarität, sondern aus Praktikabilität. Es wäre Irrsinn, wenn an jedem Eingang eines Kauflands der Impfpass vorgezeigt werden müsste. Für die Umsetzung in Bus und Bahn fehlt einem schon jede Vorstellung, wie die Kontrolle gelingen könnte. Unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann zudem betont werden, dass die Freiheit des Einzelnen durch die Maske so gut wie gar nicht eingeschränkt ist.

Es geht aber nicht um die Maske im Supermarkt.

Es geht um Existenzen, Arbeitsplätze und das alte NORMALE Leben. Jeden Tag wird darüber diskutiert, welche Folgen die Einschränkungen haben. Wie schlecht es den Gastronomen geht, dass der Einzelhandel in 2021 nur wenige Wochen geöffnet hatte, wie wenig Altmeiers Nothilfen aus der Not helfen und Tag für Tag sprechen wir über Öffnungen, die nächste Woche, bald, bei einer Inzidenz unter X, oder gar nach dem „Brücken-Lockdown“ geschehen sollenGeöffnet wird wenig, weil die Schließungen geboten sind, um Menschenleben zu retten.

Es wird auch viel über Impfungen gesprochen. Welch Debakel diese Impfstoffbeschaffung war, lassen wir mal außenvor. Positiv ist: Es wird geimpft. Es gibt mittlerweile Millionen geimpfter Menschen. Jeden Tag – vorausgesetzt es wird kein Impfstoff „vorübergehend ausgesetzt“ – werden es tausende immune Menschen mehr. Menschen, die ohne Risiko für sich und für andere ins Café, shoppen oder tanzen gehen könnten. Dabei geht es weniger um die (verfassungsrechtlich gebotene) Freiheit der Einzelnen, sondern um die perspektivische Freiheit der Gesellschaft und Grundrechte anderer, wie die Berufsausübungsfreiheit der Gastronom:innen und Einzelhändler:innen.

Solidarität in die richtige Richtung

Sobald sich die Möglichkeit eröffnet, dass Existenzen und Arbeitsplätze gesichert werden können, ohne dass das einen negativen Einfluss auf das Pandemiegeschehen hat, sollten diese Möglichkeiten nicht ausgeschlagen werden. Wir sollten sie losschicken. Alle Geimpften losschicken in die Cafés und Läden. Sie sollten uns, den noch lange nicht Geimpften, Solidarität entgegenbringen und unsere Innenstädte am Leben halten, bis sie wieder von allen genossen werden können.

Sich ohne sachlichen Grund aus Solidarität weiter zu isolieren wäre eine verfehlte Solidarität. Ich wünsche mir keine Solidarität mit den Eingeschränkten, sondern mit denen, die unter der Pandemie leiden. Ich bleibe gerne solidarisch Zuhause und ertrage, wenn Geimpfte ins Kino gehen. Nach einem Jahr werden wir ein paar Monate auch noch aushalten und danach bin ich froh, wenn die Restaurants und Läden, in die ich gerne gehen würde, überhaupt noch existieren! Die Solidarität sollte in die richtige Richtung gehen.

Der Neid auf Freiheit

Würde so nicht Neid auf die Geimpften entstehen? Den könnte es geben. Er wäre aber zeitlich begrenzt und vor allem eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Gefühlslage. Und – das wird manchen nicht gefallen aber – es gäbe einen Impfanreiz. Es wäre keine Pflicht. Die mittelbaren Folgen, also die Freiheiten, sind geboten, und wer sie früher zurückerlangen will, muss sich impfen lassen.

Der kritische Parameter ist die Impfstoffmenge. Nicht nur, weil schlicht zu langsam geimpft werden kann und so Einschränkungen länger erforderlich bleiben, sondern weil bei der Impfreihenfolge stark priorisiert werden muss. Es entstehen Zeiträume, in denen viele Menschen geimpft sind und andere noch gar keinen Anspruch auf Ihre Impfung haben und so auch keine Möglichkeit hatten, durch ein oder zwei Pieckse, zurück zu Ihren Freiheiten zu gelangen.

Die Impfreihenfolge dient nicht dazu, Menschen in einer vorgeschriebenen Reihenfolge ihre Freiheiten zurückzugeben, sondern Menschenleben zu retten. Neid auf die Impfung und deren Schutz vor der Krankheit an sich wäre angemessener als der Neid auf die mittelbaren Folgen. Der Impfstoff ist begrenzt. Die Reihenfolge wird soweit akzeptiert. Die Grundrechte der Geimpften einzuschränken, weil ansonsten andere neidisch wären, wäre doch höchst kurios.  Juristisch: Die Nicht-Hervorrufung von Neid bei anderen ist kein legitimer Zweck für die Einschränkung von Grundrechten anderer.

Ob aufgrund der durch die Impfung entstehenden Freiheiten auch ein allgemeiner Anspruch auf Impfung erwächst, müssen Gerichte entscheiden. Die ausreichende Menge kann jedoch nicht hergezaubert werden, weswegen es richtig wäre, die festgelegte Reihenfolge einzuhalten und den immunen Menschen trotzdem ihre Freiheiten zurückzugeben. Die Reihenfolge und deren Ziel muss losgelöst von Folgen der Impfung betrachtet werden. Ein gesunder Pragmatismus schadet nicht.

Solidarität statt Geschlossenheit

Manche monieren, die Freiheiten für Geimpfte seien der Abschied vom Prinzip der Solidarität. Das Gegenteil ist der Fall. Ließe man die Einschränkungen aus (fälschlich angenommener) Solidarität für alle weitergelten, so könnte man von Geschlossenheit der Gesellschaft sprechen. Geschlossen ohne frühere Freiheiten für Einzelne durch die Pandemie, könnte man titeln. „Geschlossenheit ist die konservative Abart von Solidarität“, sagte Elmar Kupke und ich finde, dass es eben keiner Geschlossenheit, sondern echter Solidarität bedarf. Keiner verfehlten Solidarität die überflüssige Einschränkungen von Grundrechten bedeuten würde, sondern Solidarität mit all jenen, die von Lockerungen für Geimpfte profitieren würden. 

Zum Autor:
Luca Schneider, 21 Jahre alt
Sprecher der Jusos Rems-Murr
Studiert Jura im 4. Semester in Tübingen

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