Neue Regierung, neues Jahr – neue Erwartungen

Veröffentlicht von KONTRA Redaktion am

Das neue Jahr ist noch jung und mit der seit etwa einem Monat amtierenden Bundesregierung gehen viele neue Erwartungen einher. Wir haben verschiedene Juso-Amts- und Mandatsträger:innen zum Jahresstart gefragt, was sie 2022 von der Ampel-Koalition politisch erwarten und für welche Themen, sie sich selbst einsetzen möchten.

„Was ich 2022 von der Ampel erwarte? Die Kurzversion: Dass Karl Lauterbach endlich Corona regelt.

Die ausführliche Antwort: Abwarten und aussitzen – 16 Jahre lang war das Programm. Doch CDU/CSU sind seit wenigen Wochen in der Opposition und damit ist der Weg frei für einen neuen Politikstil: Wegducken gibt’s nicht mehr. 2022 muss die Ampel zeigen, dass sie genau das kann. Mit einer starken Impfkampagne inklusive allgemeiner Impfpflicht sollte sie loslegen. Und auch, wenn sich die FDP schwertut: In der Pflege braucht es jetzt und nicht irgendwann bessere Arbeitsbedingungen.

Corona hat allein in Baden-Württemberg über 9.000 Ausbildungsplätze gekostet. Als Jusos haben wir die Ausbildungsgarantie ins SPD-Wahlprogramm gekämpft und nun steht sie im Koalitionsvertrag. Damit Jugendarbeitslosigkeit nicht zum Problem wird, gehört die Ausbildungsgarantie schnellstmöglich umgesetzt – natürlich im Dialog mit den Gewerkschaften.

Auch Studierende stehen unter Druck. Typische Studi-Jobs brechen weg und selbst ohne Corona: Viele sind froh, wenn sie Ende des Monats wenigstens noch 20€ auf dem Konto haben. Das ist ein Unding, deshalb muss Bafög 2022 erhöht, unbürokratischer, elternunabhängiger werden.

Die Ampel darf keine Regierung der Mini-Schritte werden. Neben der Corona- bleibt die Klimakrise die Herausforderung unserer Zeit. Olaf Scholz kann auf europäischer Ebene gleich mal beweisen, dass er den Titel „Klimakanzler“ verdient. Denn hier wird gerade hitzig diskutiert, ob Energie aus Erdgas und Atomkraft eigentlich nachhaltig ist. Spoiler: Nein, ist es auf keinen Fall.

Also, liebe Bundesregierung: Darauf, dass wir Jusos Euch auf die Nerven gehen, könnt Ihr Euch 2022 verlassen.“

Lara Herter, Landesvorsitzende der Jusos Baden-Württemberg

„Schon während des Wahlkampfs war eines meiner Ziele, den ländlichen Raum zu stärken. Als Mitglied des Bundestags habe ich jetzt noch mehr Möglichkeiten dieses Thema voranzubringen. Es geht mir konkret um den Ausbau von Breitband und Mobilfunk, um eine bessere Krankenhausfinanzierung, um die Sicherung der Nahversorgung und Stärkung des Ehrenamts.

Mit „Respekt“ als übergreifendem Thema im SPD-Wahlkampf konnten wir viele Menschen überzeugen, uns zu wählen. Dieser Vertrauensvorschuss muss jetzt gerechtfertigt werden: Die Erhöhung des Mindestlohns in diesem Jahr, die Schaffung von neuen Wohnungen und eine stabile Rente sind hier für mich zentrale Meilensteine, die es zu erreichen gilt.

Der große Konflikt des 21. Jahrhunderts besteht im Grunde aus der Auseinandersetzung von freiheitlichen Demokratien mit totalitären Systemen. Als ordentliches Mitglied im Verteidigungsausschuss kann ich dazu beitragen, uns in diesem Systemkonflikt besser aufzustellen. Ich sehe eine wichtige Aufgabe darin, für Europa eine eigenständigere und einheitlichere Rolle auf internationaler Ebene zu etablieren. Das beinhaltet unter anderem Schritte hin zu einer gemeinsamen Europäischen Armee.  Zudem sind mir eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr und das Finden von Nachfolgern für Kampfjet Tornados bedeutende Anliegen.“

Kevin Leiser, Juso-Bundestagsabgeordneter

„Seit Jahren geht die Zahl der BAföG-Empfängerinnen und -empfänger kontinuierlich zurück. Und auch für diejenigen, die BAföG erhalten, reicht das Geld häufig nicht aus. Diese Situation ist ein Grund für die soziale Ungleichheit in unserem Bildungssystem. Deshalb ist die geplante BAföG-Reform eines meiner Kernanliegen und muss schnell umgesetzt werden. In einem ersten Schritt wollen wir Freibeträge und Bedarfssätze erhöhen und eine längere Förderhöchstdauer einführen. Außerdem soll es einen dauerhaften Notfallmechanismus geben, der verhindert, dass Studierende nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen. Das ist ja durch den Wegfall vieler Nebenjobs durch Corona passiert. In einem zweiten Schritt soll das BAföG elternunabhängiger werden soll. Das finde ich richtig. Denn die Chancen junger Menschen dürfen nicht länger vom Geldbeutel der Eltern abhängen.

Dann werde ich mich für die Ausbildungsplatzgarantie einsetzen, mit der allen Jugendliche eine vollwertige Berufsausbildung ermöglicht wird, die zudem vergütet werden soll – unter anderem durch die Stärkung des Aufstiegs-Bafögs. Denn eine gute Ausbildung ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit.

Schließlich müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen. Bis 2030 soll 80% unseres Bruttostrombedarfs aus Erneuerbaren Energien stammen. Bis dorthin ist es noch ein weiter Weg, gerade auch in Baden-Württemberg. Kommunalpolitiker:innen wissen, wie lange die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen oder Freiflächen-PV-Anlagen dauern. Diese Verfahren müssen wir schnell erheblich beschleunigen.“

Lina Seitzl, Juso-Bundestagsabgeordnete

„2022 werden wir den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen. Damit kommen wir zum ersten Mal in der Geschichte nah an unser Ziel heran, dass die meisten Leute in Deutschland von ihrer Arbeit auch leben können.

Dieses Jahr können wir – hoffentlich – auch Corona in den Griff kriegen. Es gibt da einiges, was wir nicht in der Hand haben, z.B. wenn es neue Virusvarianten gibt. Aber mit etwas Glück und den richtigen Maßnahmen (dazu gehört für mich die Impfpflicht) kriegen wir unsere Unbeschwertheit zurück.

Ob wir unsere Klimaziele erreichen, entscheidet sich fürs Erste ebenfalls in den kommenden Monaten. Im Ausschuss für Klimaschutz und Energie gebe ich alles dafür, dass wir möglichst schnell 100 Prozent Erneuerbare Energien erreichen und sich alle noch Strom und Sprit leisten können.“

Robin Mesarosch, Juso-Bundestagsabgeordneter

„Mehr Fortschritt wagen – neues Zeitalter progressiver Politik?

Die Ampelkoalition mit sozialdemokratischer Führung hat durchaus das Potential etwas Großes zu werden und die Politik in unserem Land nachhaltig zu prägen. Das „Bündnis der Mitte“, wie die Koalition immer wieder genannt wurde, steht für einen breiten Teil der Gesellschaft und symbolisiert direkt im Titel des Koalitionsvertrags wo die Reise hingehen soll: mutig in ein neues Zeitalter progressiver Politik. Auch der Rest des Programms bietet viele Chancen. Man möchte etwas wagen und gestalten, anstatt nur auf Erhalt des Status Quo zu setzen. Das ist nach 16 Jahren Verwaltung, in denen die SPD zwar größtenteils mitregierte aber durch den Bremsklotz Union vieles auf der Strecke blieb, verdammt wichtig und gut für Deutschland! Und vor allem in der Sozialpolitik lässt sich unsere SPD nicht die Butter vom Brot nehmen: durch geschickte Verteilung der Ministerien liegt fast das komplette Sozialsystem in unserer Hand. Da muss sich jetzt was bewegen! Die Erhöhung des Mindestlohns, die Kindergrundsicherung und der Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch der Wegfall des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche und die Absenkung des Wahlalters auf 16 sind da nur einige Punkte, die meiner Meinung nach so schnell wie möglich umgesetzt werden sollten. Jetzt gilt es die Themen auch tatsächlich zügig anzupacken, damit möglichst viel aus dem Koalitionsvertrag und am besten noch der ein oder andere Punkt, der aus sozialdemokratischer Sicht noch fehlt, in den nächsten 4 Jahren umgesetzt werden kann.“

Jan-Peter Röderer, jüngster SPD-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag

„2022 wird von der neuen Ampelregierung viel abverlangen. Allein schon Deutschland gut durch die Pandemie zu bringen, ist eine Herkulesaufgabe und wird Olaf Scholz’ neues Kabinett vor eine große Bewährungsprobe stellen. Doch Corona ist nicht die einzige Baustelle, der sich der neue Kanzler dringend widmen sollte: neben vielen wichtigen innenpolitischen Projekten – 12-Euro-Mindestlohn sei hier mal herausgehoben – gilt es, im engen Austausch mit den USA europäische Antworten auf die Drohgebärden Russlands zu finden. Deutschland muss gemeinsam mit Frankreich und anderen westeuropäischen Staaten unmissverständlich klarstellen, dass unsere osteuropäischen Partner unsere vollständige Unterstützung erfahren.

Gleichzeitig gilt es, nicht in längst überwunden geglaubte Rhetoriken und Denkmuster zu verfallen. Ein Säbelrasen zwischen Amerikanern und Russen und Gerede von Kalter Krieg 2.0-Szenarien helfen unseren osteuropäischen Nachbarn nicht weiter und bringen keine Sicherheiten.

Olaf Scholz tut gut daran, neue Ansätze zu finden im Umgang mit einem aggressiv auftretenden russischen Präsidenten. 51 Jahre nachdem Willy Brandt für seinen Umgang mit unseren östlichen Nachbarn den Friedensnobelpreis erhalten hat, wäre es Zeit für eine Neue europäische Ostpolitik, die Frieden sichert und durch Vertrauen Deeskalationsspiralen in Gang bringt, statt zu neuen Eskalationen zu führen. Wer könnte diese besser mitprägen als ein sozialdemokratischer Bundeskanzler.

Bleibt nur zu hoffen, dass ein berüchtigter sozialdemokratischer Ex-Kanzler sich mit cleveren Ratschlägen von der Seitenlinie zurückhalten kann.“

Martin Wenger, Kontra-Chefredakteur

„Zunächst erhoffe ich mir von der Ampelkoalition ein erfolgreiches Management der Corona-Krise, damit wir alle schnellstmöglich wieder einen normalen Alltag führen können. Als wichtigstes Projekt in der kommenden Legislaturperiode sehe ich als stolzer Sozialdemokrat die Erhöhung des Mindestlohnes, die voraussichtlich Mitte 2022 vollzogen wird. Ich erhoffe mir für das nächste Jahr, dass ein überzeugender Fahrplan für die Abgabe von Cannabis entworfen wird, selbst wenn ich die Entkriminalisierung im kommenden Jahr für unwahrscheinlich halte.

Spannend wird die Entwicklung der Außenpolitik zu beobachten sein. Dabei hat man sich viel vorgenommen. Mit Russland strebt man eine konstruktive Zusammenarbeit an, aber fordert ebenso ein Ende der „Destabilisierungsversuche“ gegen die Ukraine. Im Koalitionsvertrag hat man sich zum Ziel eines föderalen, europäischen Bundesstaats bekannt und nimmt sich viele Reformen vor. Doch stellt sich mir die Frage, ob man im gesamten außenpolitischen Kapitel nicht an den Realitäten scheitern könnte.

Ich wünsche mir zudem ein Konzept zur Bekämpfung von insbesondere russischen Desinformationskampagnen welches, statt auf die Medienkompetenz des Einzelnen zu vertrauen, Mittel entwirft, um die Quelle von Falschinformationen bekannt zu machen.

Zuletzt hoffe ich, dass die Regierung es schafft in derselben Ruhe und Unaufgeregtheit, die die Koalitionsverhandlungen geprägt haben, ihre gesamte Amtszeit durchzustehen.“

Georg Wegmann, Kontra-Redakteur

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