Mehr europäische Souveränität durch eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik

Veröffentlicht von KONTRA Redaktion am

Ein Artikel von Sebastian Camarero (KV Mannheim; Europa-Kandidat).

Angesichts einer zunehmend multipolaren Weltordnung drängt sich die Notwendigkeit einer stärkeren und eigenständigeren EU-Verteidigungs- und Außenpolitik auf. Denn wenn Europa gemeinsam handelt, kann die europäische Integration als friedenstiftendes Projekt zur Stabilität innerhalb und außerhalb Europas beitragen.

Zunehmende globale Bedrohungen

Mehr europäische Zusammenarbeit war oft der Schlüssel zur Lösung weitreichender Krisen. Man denke nur an die Schaffung der Montanunion und später der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in den 1950er Jahren: Der Zusammenschluss kriegswichtiger Industrien und der Ausbau von gemeinsamen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen führte ehemals verfeindete Staaten in eine stabile Friedensordnung.[1]

Die europäische Sicherheitslage hat sich zuletzt dramatisch verändert, insbesondere durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Dieser Konflikt hat das Leben unzähliger Menschen zerstört und Europa eine geopolitische Zeitenwende gebracht. Die Vision einer dauerhaften Friedensordnung in Europa wurde erschüttert. Parallel dazu verschiebt sich die globale Machtbalance, insbesondere durch den Aufstieg Chinas. Peking fordert die bestehende Weltordnung heraus.

Die Unsicherheiten bezüglich der langfristigen Sicherheitsgarantie der USA für Europa, insbesondere im Falle eines Sieges von Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2024, verstärken die Dringlichkeit in Europa, die eigene Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit auszubauen. Eine stärkere, gemeinsame EU-Verteidigungs- und Außenpolitik wäre für die Bewahrung der europäischen Souveränität in einer zunehmend multipolaren Welt wichtig, um auf Augenhöhe mit Mächten wie den USA, China oder Russland agieren zu können.

Die Notwendigkeit von Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik

Aktuell basieren fast alle Entscheidungen in der EU-Außenpolitik auf dem Prinzip der Einstimmigkeit.[2] Für viele bedeutende außenpolitische Beschlüsse ist damit die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erforderlich. Die Blockademöglichkeit durch einzelne EU-Mitgliedsstaaten aus Partikularinteressen ist ein signifikantes Problem. Einzelne Länder können eine gemeinsame EU-Position verzögern oder gar verhindern. Solche Blockaden untergraben das internationale Ansehen der EU und schwächen ihre Handlungsfähigkeit. Sie erhöhen die Gefahr der Erpressbarkeit durch Drittstaaten.

In diesem Kontext treten die Vorteile qualifizierter Mehrheitsentscheidungen[3] zutage. Durch dieses Verfahren könnten Entscheidungen schneller getroffen und umgesetzt werden, da nur eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten erforderlich wäre. Dies würde der EU ermöglichen, geschlossener und entschiedener auf internationale Ereignisse reagieren zu können.

Zeit, die Vision einer EU-Armee Schritt für Schritt zu erreichen

Eine gemeinsame EU-Armee stellt dabei ein strategisches Ziel dar, das weit über die traditionellen Vorstellungen nationaler Verteidigung hinausgeht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Eine EU-Armee würde die Verteidigungsausgaben effizienter nutzen, Redundanzen vermeiden und eine bessere Ausstattung ermöglichen. Langfristig könnten die EU-Staaten bei den Verteidigungsausgaben sparen.

Darüber hinaus könnte die EU durch die Entwicklung gemeinsamer militärischer Kapazitäten schneller und koordinierter auf Sicherheitsherausforderungen reagieren. Eine europäische Armee würde eine gemeinsame strategische Ausrichtung fördern und sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten ihre Kräfte auf komplementäre Weise einsetzen. Dies würde dazu beitragen, dass Europa effektiv als Ganzes eine kohärentere Sicherheitspolitik verfolgt.

Schließlich würde die Schaffung einer EU-Armee Europa als gleichwertigen Partner neben anderen globalen Mächten positionieren. Europa würde als ein Akteur wahrgenommen, der nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch relevant ist. Dies kann die Verhandlungsposition der EU stärken und helfen, europäische Interessen und Werte zu verteidigen.

Quelle: https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/security/20190612STO54310/verteidigung-kommt-eine-europaische-armee

Vollendung der europäischen Idee

Die Vision eines vereinigten Europas wurde in den Trümmern zweier verheerender Weltkriege zu einem realen politischen Projekt. Heute steht die EU an einem Punkt, an dem die Fortführung dieser Vision eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik erfordert.

Die Schritte zur Bildung einer EU-Armee sind komplex und erfordern eine Reform der EU. Nationale Regierungen müssten schrittweise Verteidigungshoheiten auf gemeinsame EU-Strukturen übertragen.

Eine solche Politik wäre aber nicht nur für die Sicherung des Friedens in Europa sinnvoll, sondern würde auch zur Stärkung der europäischen Identität und Integration beitragen. Sie festigt das Versprechen Europas: Nie wieder Krieg untereinander. Gleichzeitig würde sie Europa in die Lage versetzen, seinen Einfluss auf der globalen Bühne zu stärken.

Fazit: Die Europawahlen bieten eine Chance, die Debatte anzuregen, Europa nicht nur wirtschaftlich, sondern auch außen- und verteidigungspolitisch noch besser zu vereinen, und damit die europäische Souveränität zu stärken.


[1] https://www.bpb.de/themen/europaeische-union/dossier-europaeische-union/42989/gruendung-der-europaeischen-gemeinschaften/

[2] https://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/voting-system/unanimity/      

[3] Mehrheit ist erreicht, wenn mind. 55% der Mitgliedstaaten und 65% der Bevölkerung der EU für einen Vorschlag sind. https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-europalexikon/177216/qualifizierte-mehrheit/

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