Argumentationshilfe zur Reform der Schuldenbremse: Für eine zukunftsfähige und gerechteFinanzpolitik

Veröffentlicht von KONTRA Redaktion am

Die Schuldenbremse: Aufbau und Grundlagen
Die Schuldenbremse wurde 2009 durch eine Änderung des Grundgesetzes in Deutschland verankert und regelt die Begrenzung der staatlichen Neuverschuldung. Sie findet ihren rechtlichen Niederschlag in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes und zielt darauf ab, Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Ein Artikel von Nathalie Ziwey (KV Ludwigsburg).


Dabei gelten spezifische Vorgaben: Seit 2016 darf die strukturelle Neuverschuldung des Bundes nicht mehr als 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen – diese Grenze wird als „strukturelle Komponente“ bezeichnet. Für die Länder gelten seit 2020 noch strengere Regeln: Sie dürfen keine konjunkturunabhängigen Schulden mehr aufnehmen. Außerdem beinhaltet die Schuldenbremse noch das Instrument der Konjunkturkomponente. Sie soll dem Staat eine antizyklische Fiskalpolitik ermöglichen. Die Berechnung der Konjunkturkomponente basiert auf der Differenz zwischen dem Produktionspotenzial der Wirtschaft – also der maximal möglichen Wertschöpfung bei normalausgelasteten Kapazitäten – und dem tatsächlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Liegt das BIP unter dem Produktionspotenzial, dürfen für jeden Euro der Abweichung 20 Cent zusätzliche Schulden aufgenommen werden, um die Konjunktur zu stabilisieren.


Es existieren jedoch Ausnahmen: In außergewöhnlichen Notsituationen oder Naturkatastrophen, wie etwa während der Coronapandemie, kann die Schuldenbremse mit einer einfachen Mehrheit des Bundestages ausgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist ein konkreter Tilgungsplan, der regelt, wie die zusätzlichen Schulden zurückgezahlt werden sollen.


Kritik an der Schuldenbremse: Ein Hemmschuh für Investitionen und Wachstum
Die Schuldenbremse steht seit Jahren in der Kritik, da sie notwendige Investitionen behindert und die finanzpolitische Handlungsfähigkeit einschränkt. Ein zentraler Kritikpunkt ist die fehlende Unterscheidung zwischen investiven und konsumtiven Ausgaben. Investive Ausgaben – etwa für Infrastrukturprojekte, Schulen oder digitale Netze – schaffen langfristigen gesellschaftlichen Nutzen, während konsumtive Ausgaben lediglich den laufenden Betrieb abdecken. Indem die Schuldenbremse beide Ausgabenarten gleich behandelt, werden auch zukunftsweisende Investitionen unnötig blockiert.


Hinzu kommt die starre Jährlichkeit und Jährigkeit der Haushaltsplanung: Öffentliche Mittel müssen innerhalb eines Haushaltsjahres verplant werden, was langfristige Projekte erschwert. Besonders in Krisenzeiten zeigt sich, dass diese Regelungen die Reaktionsfähigkeit des Staates erheblich einschränken.


Insgesamt verstärkt die Schuldenbremse den prozyklischen Charakter der Fiskalpolitik, was in wirtschaftlichen Abschwungphasen zu einer Verschärfung der Krise beiträgt. Daran ändert auch die in der Schuldenbremse eingebaute Konjunkturkomponente nichts. Dies liegt daran, dass das Verfahren zur Berechnung des Produktionspotenzials mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, da viele der erforderlichen Inputvariablen nicht allein auf einer gesicherten ökonomischen Grundlage bestimmbar sind. Stattdessen erfordert die Bestimmung des Produktionspotenzials eine Vielzahl von Annahmen und methodischen Festlegungen, die oft willkürlich wirken, dem aktuellen Forschungsstand widersprechen oder sich im Nachhinein als fehlerhaft erweisen können. Diese Unsicherheiten machen die Potenzialschätzung anfällig für Revisionen, was eine verlässliche und planbare Finanzpolitik erheblich erschwert. Zudem wirkt die Berechnung in ihrer jetzigen Form prozyklisch, da sie den fiskalischen Spielraum in wirtschaftlichen Abschwungphasen zusätzlich einschränkt und so eine wirksame antizyklische Fiskalpolitik behindert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt, dass solche Maßnahmen das Wirtschaftswachstum langfristig bremsen können.


Auch auf europäischer Ebene führt die deutsche Schuldenbremse zu Problemen: Die deutsche Schuldenbremse trägt durch die Förderung von Leistungsbilanzüberschüssen dazu bei, die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone zu verstärken, was insbesondere die Defizitländern des Südens belastet.


Nicht zuletzt hat die Schuldenbremse auch demokratieschädigende Effekte. Studien, wie jene von Ricardo Duque Gabriel et al. (2023), zeigen, dass Haushaltskonsolidierungen zu einem Anstieg der Stimmanteile extremistischer Parteien führen können. Eine starre Sparpolitik untergräbt somit das Vertrauen in demokratische Institutionen.


Unser Reformvorschlag: Eine Schuldenbremse, die Zukunft möglich macht
Die SPD erkennt die Notwendigkeit fiskalischer Disziplin an, fordert jedoch eine Reform der Schuldenbremse, um dringend benötigte Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des Landes zu ermöglichen. Unser Ziel ist eine Schuldenregelung, die den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen gerecht wird:

  • Investitionen von der Schuldenbremse ausnehmen: Zukunftsweisende Projekte, etwa im
    Bereich der Infrastruktur oder Digitalisierung, sollen nicht länger durch die Schuldenbremse
    behindert werden. Diese Investitionen sichern nicht nur den Wohlstand zukünftiger
    Generationen, sondern stärken auch das Wirtschaftswachstum.
  • Anpassung der Konjunkturkomponente: Die Kriterien müssen an die aktuelle wirtschaftliche
    Lage angepasst werden, um antizyklische Maßnahmen zu erleichtern.
  • Reform der Tilgungsverpflichtungen: Um Krisenzeiten nicht künstlich zu verlängern, sollten
    Rückzahlungsfristen flexibler gestaltet werden.
  • Kohärenz mit europäischen Fiskalregeln: Alle Reformen müssen mit den Maastricht-Kriterien
    vereinbar sein, die eine Neuverschuldung von maximal 3 Prozent und einen Schuldenstand von
    höchstens 60 Prozent des BIP vorsehen.

Kurzübersicht Mythen und Argumentationshilfen
Mythos 1: Eine Reform der Schuldenbremse bedeutet unbegrenzte Verschuldung.
Das stimmt nicht. Die EU gibt klare Obergrenzen für Neuverschuldung und Gesamtverschuldung vor. Diese Konvergenzkriterien sorgen dafür, dass die Finanzpolitik auch bei einer reformierten Schuldenbremse innerhalb eines klaren Rahmens bleibt.


Mythos 2: Die Schuldenbremse sorgt für Generationengerechtigkeit.
Dieses Argument greift zu kurz. Zukünftige Generationen erben nicht nur Schulden, sondern auch Vermögenswerte wie eine verbesserte Infrastruktur. Investitionen können zudem das BIP langfristig steigern – pro Euro öffentlicher Investition erhöht sich das BIP um bis zu 1,8 Euro.


Mythos 3: Die Schuldenbremse stärkt das Vertrauen in den Staat.
Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass strikte Sparpolitik dieses Vertrauen eher untergräbt. Sinnvolle Investitionen hingegen stabilisieren die wirtschaftliche Lage und schaffen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.


Quellen

  • https://www.fes.de/wissen/schuldenbremse
  • https://www.wzb.eu/de/artikel/wie-die-schuldenbremse-zur-bedrohung-der-demokratie-wird
  • Gabriel, Ricardo Duque, Mathias Klein, and Ana Sofia Pessoa. „The political costs of austerity.“
    Review of Economics and Statistics (2023): 1-45.
  • https://www.fes.de/wissen/oeffentliche-
    investitionen#:~:text=Als%20%C3%B6ffentliche%20Investitionen%20werden%20die,z%C3%A4h
    len%20dazu.
  • https://www.ifo.de/fakten/2023-12-08/die-deutsche-schuldenbremse-stabilitaetsanker-oder-
    investitionsblocker
  • https://www.haushaltssteuerung.de/lexikon-ausgaben-
    konsumtive.html#:~:text=Unter%20konsumtiven%20Ausgaben%20(auch%3A%20Konsumausga
    ben,Verwaltung%20oder%20die%20Geb%C3%A4udebewirtschaftung%20an.&text=Gegensatz
    %3A%20investive%20Ausgaben.
  • https://www.deutschlandfunk.de/bundestagswahl-2025-wahlprogramme-schuldenbremse-
    haushaltspolitik-100.html
  • https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/position-eckpunkte-gerechte-
    haushaltspolitik.pdf
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