Wie soll es mit der EU weitergehen?
Seit Monaten steht die EU massiv unter Druck. Die externen Probleme durch die neue geopolitische
Lage nach dem Wahlsieg Donald Trumps haben massiv zugenommen. Der wichtigste Verbündete (die
USA) hat sich gegen Europa gewendet und steht ihm sogar teilweise feindlich gegenüber. Das ist
gerade in Zeiten eines Ukraine-Krieges und eines neoimperial agierenden Russlands eine mehr als
schlechte Situation. Hinzu kommen die internen Probleme wie das Blockieren wichtiger Hilfspakete,
unter anderem für die Ukraine, durch Länder wie Ungarn, die Russland freundlich gegenüberstehen
und die Einheit der EU unterwandern – quasi ein trojanisches Pferd in den eigenen Reihen. Keine
Frage: Die EU muss reformiert werden und sich neu aufstellen, um sich in der kommenden
Weltordnung zu behaupten und ihre liberalen Werte zu verteidigen – zur Not auch mit Gewalt gegen
Aggressoren wie Russland. Die Alternative wäre, dass die Union Spielball der großen Mächte wird und
vielleicht sogar zerbricht, was zu einem immensen Machtverlust der europäischen Staaten führen
würde, welche langfristig in die Bedeutungslosigkeit abrutschen könnten. Aber was genau muss getan
werden, damit die EU handlungsfähig wird und sich behaupten kann? Es gibt viele Baustellen, welche
sich bei weitem nicht in einem einzigen Artikel zusammenfassen lassen, und die, die ich nenne, kann
ich nur grob anreißen. Jedoch möchte ich trotzdem zeigen, welche aus meiner Perspektive zentral
sind.
Reform des Vetorechts
Zum einen bräuchte man eine Reform des Vetorechts, welches jeder Staat besitzt. Durch das jetzige
System wird es Ländern wie Ungarn ermöglicht, den Betrieb der EU massiv einzuschränken und somit
die Union als Ganzes weniger handlungsfähig zu machen. Eine Reform ist daher dringend nötig, um
vereint aufzutreten und Gefahren gemeinsam entgegenzutreten. Dies könnte man erreichen, indem
man festlegt, dass anstatt der Zustimmung aller Mitglieder nur noch ¾ oder 4/5 zustimmen müssen.
Dies würde langes Abstimmen der Pakete ersparen und wäre weiterhin ein sehr demokratischer Weg,
da die Interessen von mehr als der Hälfte der EU-Mitglieder berücksichtigt würden. Natürlich wäre
dies nicht immer gut für einzelne Staaten, die als einzige gegen eine Maßnahme sind und nicht
wollen, dass diese umgesetzt wird. Man könnte es aber als Preis sehen, den man dann eben bezahlen
muss, dafür, dass man Teil einer funktionierenden Gemeinschaft ist, welche einen der wichtigsten
Märkte der Welt hat.
Einheit in der Verteidigung
In den letzten Jahren und Monaten wurde es den meisten Europäern klar, wie wichtig es ist,
verteidigungsfähig zu sein. Nur so lassen sich die eigenen Werte, Gesetze und Grenzen im Ernstfall
gegen eine neoimperiale Macht wie Russland schützen. Was muss hier also passieren? Alle Armeen
der einzelnen EU-Mitglieder zu einer Streitkraft zu verschmelzen, wird nicht passieren und liegt
momentan nicht im Bereich des Möglichen, wie es manchmal verlangt wird. Die wenigsten Länder
wären bereit, einen so wichtigen Teil ihrer nationalen Souveränität zusammenzustreichen für eine
gemeinsame Streitkraft. Das bräuchte es aber auch gar nicht, um als Union verteidigungsfähig zu sein.
Das CSIS hat ein Konzept entwickelt, welches eine europäische Armee als Ergänzung zu bereits
bestehenden Nationalstreitkräften der Mitgliedstaaten sieht. Eine 100.000 Mann starke Streitkraft
könnte die stationierten US-Truppen ersetzen, welche durch den neuen Fokus der USA auf Asien und
das Südchinesische Meer früher oder später wahrscheinlich abgezogen werden. Das größte Problem
wäre zu entscheiden, wer im Ernstfall das Kommando über diese Armee hätte. Das Europäische
Parlament und die Präsidentin der Europäischen Kommission haben beide kein Mandat für
außenpolitische Entscheidungen und könnten nicht den Befehl über eine solche Streitkraft haben. Die
realistischste Option wäre, diese Macht dem Europäischen Rat zu übergeben, welcher aus den
Staatsoberhäuptern der Mitgliedstaaten besteht. Jeder, der sich dafür noch mehr interessiert, kann
über den Link am Ende noch weitere Informationen sammeln. Ein weiteres Problem bei der
europäischen Verteidigung ist, dass weiterhin keine einheitliche Auftragslage besteht. Jedes Land
baut seinen eigenen Panzer oder Kampfjet. Es gibt zwar Kampfsysteme wie den Eurofighter, welche
von mehreren Ländern entwickelt wurden, jedoch benutzen andere Länder andere Flugzeuge wie
Frankreich den Rafale oder Schweden den Gripen. Das führt dazu, dass wichtiges Kriegsgerät nicht in
großen Mengen produziert werden kann und Soldaten der Armee X erst intensives Training brauchen,
um im Ernstfall das Equipment der Armee Y zu bedienen.
Wirtschaft und Innovation
Die EU ist international betrachtet sehr gut aufgestellt, was die Wirtschaft angeht. Trotzdem sind wir
technologisch stark abhängig von den USA. Ob es Software wie MS Office ist, die in so gut wie jeder
Behörde und jedem Unternehmen verwendet wird, Hardware wie das iPhone und moderne
Waffensysteme oder soziale Netzwerke wie Instagram – diese Abhängigkeit ist in Zeiten Trumps ein
Risiko, weshalb die Union daran arbeiten muss, sie zu reduzieren. An mangelndem Wissen oder
Forschungseinrichtungen liegt es nicht – Europa hat einige der besten Universitäten weltweit und ist
sehr forschungsstark. Was fehlt, sind die Strukturen, diese Innovationen auf dem Markt anzubieten,
und der Wille, Risikokapital bereitzustellen, um Start-ups zu finanzieren, die innovative Lösungen
anbieten. Man könnte diese Entwicklung unter anderem unterstützen, indem staatliche Aufträge
verstärkt an heimische Unternehmen vergeben werden, man Hürden abbaut, die Gründung und
Innovation ersticken, und Strukturen schafft, die diese fördern. Es ist unbestreitbar, dass, wenn die EU
weiterhin ihre Position in der Welt behaupten will, sie unabhängiger sein muss bei kritischen
Technologien und auf gute, eigene Alternativen zurückgreifen kann.
Die nächsten Jahre werden für die EU wahrscheinlich mit die schwierigste Zeit, die sie seit ihrem
Bestehen hatte. Wenn jedoch der politische Wille vorhanden ist, könnte sie nach dieser Periode
voller Herausforderungen und Unsicherheiten stärker und geeinter hervorgehen, als sie es jemals
war.
