„Scheidung von Europa“?

Veröffentlicht von KONTRA Redaktion am

Wer Anfang des Monats die Zeitung aufgeschlagen hat, ist an einer Schlagzeile wohl kaum vorbeigekommen: „Trumps Scheidung von Europa“. So oder ähnlich titeln unter anderem die taz, die Stuttgarter Zeitung, die Berliner Morgenpost und die SZ. Dabei beziehen sie sich auf die neue Sicherheitsstrategie des US-Präsidenten Donald Trump. Ein circa 29-seitiges Papier, das sich in etwa so liest, wie sich die Rede von US-Vize J. D. Vance bei der Münchener Sicherheitskonferenz zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit angehört hat. Damals hatte Vance den Europäern ein mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen. Als Beweis führte er angebliche Angriffe auf die freie Meinungsäußerung, Europas Versagen in der Migrationspolitik und den Ausschluss von Parteien wie der AfD an. Eine schriftliche Fassung dieser wirren Attacken auf Europa findet sich nun in Trumps Strategiekonzept wieder.

Entsprechend fallen die Reaktionen auf das Sicherheitspapier der Vereinigten Staaten aus. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen etwa spricht dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegenüber von einer „zweiten Zeitenwende“. In puncto Gefährdung Europas reiht Röttgen das US-Papier also direkt hinter den Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Schließlich hatte dieser den damaligen Kanzler Olaf Scholz (SPD) dazu veranlasst, überhaupt von einer „Zeitenwende“ zu sprechen. Weiter sagt Röttgen, die USA stünden erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr an der Seite Europas. Bei Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, klingt das ganz ähnlich. Er sagt im Deutschlandfunk: „Wir können uns nicht mehr auf Washington verlassen.“ Lob erntete Trumps Sicherheitsstrategie hingegen im Kreml. Dort wird der Richtungswechsel der Vereinigten Staaten als „positiver Schritt“ aufgefasst. Obwohl – oder gerade weil – Russland kaum im US-Papier vorkommt, befindet sich Russland laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow „weitgehend in Übereinstimmung“ – auch das ist kein besonders gutes Zeichen für Europa.

Dabei wird Europa selbst nur auf drei Seiten des Konzepts erwähnt. Diese drei Seiten haben es allerdings in sich. Denn auf ihnen liest man von Europa als einen Kontinent, der sich im Untergang befände: Es wird gesprochen vom „ökonomischen Niedergang“, von der selbstverschuldeten „Auslöschung“ Europas aufgrund von Massenmigration und schließlich von angeblicher „Zensur der Meinungsfreiheit und Unterdrückung der politischen Opposition“. Das Resultat, zu dem die US-Strategie kommt: Trotz der „sentimentaler Verbundenheit“ zwischen den USA und Europa sei unklar, ob Europa in zwanzig Jahren militärisch und wirtschaftlich stark genug sein werde, um seine internationalen Partner zu behalten. Der O-Ton ist eindeutig: Europa wird als Kontinent der Schwäche dargestellt. So sei auch der Ukraine-Krieg Ausdruck des „fehlenden Selbstvertrauens“ Europas. Obwohl eine große Mehrheit der Europäer Frieden wollten, würde dies nicht in Politik übersetzt werden – von Kritik an Russland fehlt auch hier jede Spur. Stattdessen fordert das US-Konzept, Europa solle die eigene Stabilität wiederherstellen sowie eine „strategische Stabilität“ in der Beziehung zu Russland erreichen, um langfristig auf „eigenen Füßen“ stehen zu können.

Platz für die transatlantische Beziehung zu den Vereinigten Staaten gäbe es dann nur noch durch Handel. Denn Donald Trumps Hauptziel ist evident: Er möchte wirtschaftlichen Profit. Europa stellt er sich nicht mehr als Werte-, sondern nur noch als Handelspartner vor, China dafür schätzt er nicht mehr als systemischen, sondern lediglich als wirtschaftlichen Konkurrenten ein. Dem Papier liegt also eines der Grund-Mottos der MAGA-Bewegung zugrunde: „America First“. Und das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch. Denn die Staaten wollen ihr militärisches Engagement in der Welt grundsätzlich verringern – und eben auch in Europa. Obgleich also Nato-Generalsekretär Mark Rutte geradezu mantraartig wiederholt, dass die transatlantische Brücke halten würde, ist es eine nachvollziehbare Reaktion, sich vor der sicherheitspolitischen Abwendung der Staaten von Europa zu fürchten.

Denn einen krasseren Gegensatz zur Sicherheitsstrategie von Trumps Amtsvorgänger Joe Biden kann man sich kaum vorstellen. Dort war der Abschnitt zu Europa noch so überschrieben: „Wie wir unser Bündnis zu Europa stärken können“. Und diese Überschrift war Programm. Europa wurde als der „fundamentale Partner“ der USA schlechthin begriffen, die Unterstützung der Ukraine wurde bekräftigt und Russland und China wurden eindeutig als systemische Widersacher einer westlichen Wertegemeinschaft benannt. Klar, militärische und wirtschaftliche Autonomie Europas von den USA fordern die Vereinigten Staaten seit Obamas Präsidentschaft. Zwar sicher nicht so radikal und skrupellos, wie es Trump tut, aber immerhin. Und außerdem funktioniert Trumps Politik ohnehin anders, als es westliche Demokratien gewohnt sind. Nicht Strategiepapiere und bürokratische Regeln bestimmen seinen Regierungsstil, sondern Deals. Das wird im Hinblick auf das neue Sicherheitskonzept nicht anders laufen. Nicht das Papier selbst wird Trumps Umgang mit Europa bestimmen, sondern sein Verhältnis zu den einzelnen Staatsoberhäuptern. Auch die jüngsten Entwicklungen in den Ukraine-Friedensverhandlungen haben das gezeigt, bei denen die USA – auch durch den Einsatz des Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) – schließlich doch wieder in vielen maßgeblichen Punkten auf der Seite Europas und der Ukraine standen. Doch das Problem bleibt bestehen: Trump und damit die amerikanische Rückendeckung Europas ist unberechenbar – die Sicherheitsstrategie ist ein weiterer Ausdruck davon. Und: Europa ist nicht mehr der „fundamentale Partner“ der USA, sondern nur ein potentieller wirtschaftlicher Partner unter vielen. Und laut dem US-Präsidenten nicht einmal ein besonders starker.

Die Zeit, in der sich Europa uneingeschränkt auf die USA und die transatlantischen Beziehungen verlassen konnte – eine Zeit, wie sie etwa Joe Biden bis zuletzt geprägt hat –, ist vorbei. Und das nicht erst seit dem neuen Sicherheitskonzept, sondern spätestens seit J.D. Vances Rede in München. Mit dem Sicherheitskonzept setzt Trump gewissermaßen nur die autoritäre Krone auf das, was er seit Beginn seiner zweiten Amtszeit klar gemacht hat: dass sich Europa nicht mehr auf die USA verlassen kann. Es ist also nur konsequent, wenigstens zu fordern, dass man jetzt keine Zeit mehr verlieren dürfe, um in die europäische Souveränität zu investieren, wie es Grünen-Chefin Franziska Brantner den Zeitungen der Funke Mediengruppe gegenüber tat. Denn nur ein militärisch und wirtschaftlich starkes Europa wird sich langfristig gegen die Tyrannei wehren können, die von Russland, China und jüngst von den Vereinigten Staaten ausgeht.