Taser schützen niemanden – weder die Polizei noch die Betroffenen
Der CDU-Innenminister plant, Taser in mehreren Polizeipräsidien Baden-Württembergs zu testen. Noch bevor die Ergebnisse vorliegen, fordern SPD-Stimmen eine flächendeckende Einführung. Dabei bestehen zahlreiche praktische, rechtliche und medizinische Bedenken gegen Taser, die wegen ihrer begrenzten Nützlichkeit nicht aufgewogen werden können. Die kürzlich erschienene sozialwissenschaftliche Evaluation zur Einführung von Tasern aus NRW zeigt: Taser schützen weder die Betroffenen noch die Polizist*innen und werden anders eingesetzt, als die Bevölkerung sich das vorstellt.
Ein Taser (technisch Distanzelektroimpulsgerät) verschießt zwei Pfeile, die sich in der Haut verhaken und über Drähte Strom leiten. Dieser lähmt, sofern die Pfeile im richtigen Abstand und an der richtigen Stelle treffen, die Muskeln für mehrere Sekunden, sodass die Person unkontrolliert zu Boden stürzt.
Kein Ersatz für die Schusswaffe
In der Debatte um die Einführung von Tasern hält sich das Argument, dass Taser anstatt von Schusswaffen eingesetzt würden und so das Leben der betroffenen Person gerettet werden könnte. In Ländern, in denen Taser schon länger genutzt werden, zeigt sich aber, dass das nicht stimmt. Die Zahl der Schusswaffeneinsätze nahm nach der Einführung von Tasern nicht ab. Stattdessen steigt die Zahl der Gewaltanwendungen durch die Polizei insgesamt.
Das ist auch kein Wunder: Der Taser funktioniert nur auf kurze Distanz, benötigt einen präzisen Doppeltreffer auf dem Oberkörper (soll aber nicht die Brust treffen), kann bei Regen, Wind oder dicker Kleidung versagen und funktioniert oft nicht, wenn sich die betroffene Person bewegt (da ja beide Pfeile stecken bleiben müssen). Die Evaluation aus NRW fand eine Misserfolgsquote, also keinerlei Wirkung des Tasers, in 26,3 % aller Einsätze. Bei mehr als 50 % der Einsätze musste mehr als einmal geschossen werden, um eine Wirkung zu erzielen.
Wer sein Leben oder das Leben einer anderen Person schützen muss, wird verständlicherweise nicht auf ein Gerät vertrauen, das im Ernstfall nur mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit beim ersten Schuss eine Wirkung erzielt. Dies erklärt auch, weshalb man keine Verringerung des Schusswaffengebrauchs feststellen kann. Inzwischen teilt sogar das Innenministerium von NRW diese Analyse. Als vor Kurzem ein Polizist eine Person erschoss, statt einen Taser zu verwenden, gab das Innenministerium eine Erklärung heraus, dass Taser grundsätzlich ungeeignet seien, um in „dynamischen Situationen“ eingesetzt zu werden.
Gefahr für Betroffene
Der Taser kommt also zusätzlich, nicht alternativ zur Schusswaffe zum Einsatz. Er wird vor allem bei verhältnismäßig geringfügigen Einsatzanlässen eingesetzt. Besonders häufig, in einem Drittel aller Einsätze, wurde der Taser gegen Menschen in psychischen Akutsituationen eingesetzt, außerdem gegen Menschen unter Drogen- oder Alkoholeinfluss.
Die Vorstellung, Taser seien eine „nicht-tödliche“ und vergleichsweise ungefährliche Alternative, ist medizinisch schlicht falsch. Die Elektroimpulse können Herzrhythmusstörungen, Krampfanfälle, Atemstillstand, Verbrennungen und schwere Sturzverletzungen auslösen. Daten aus NRW zeigen, dass rund 42 % der vom Taser getroffenen Personen behandlungsbedürftige Verletzungen erlitten haben.
Besonders gefährdet sind dabei neben älteren Menschen und Personen mit Vorerkrankungen auch Menschen, die unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen oder sich in psychischen Krisen befinden – also genau die Gruppe von Personen, gegen die der Taser in über einem Drittel der Fälle eingesetzt wird. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass die Polizei aktuell keine Ausbildung erhält, um sinnvoll mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen umzugehen. Anstatt hier mit passenden Ausbildungsinhalten anzusetzen, wird mit dem Taser das Problem des Umgangs mit diesem Menschen durch einen Stromschlag gelöst.
Missbräuchliche Nutzung und schwindendes Vertrauen in die Polizei
In den meisten Einsätzen von Tasern werden sie allerdings gar nicht ausgelöst: Rund 80 % der Tasereinsätze sind reine Drohungen. In internen Evaluationen berichten Polizist*innen begeistert, dass Personen „sofort gehorchen“, sobald sie den Taser sehen. Auch wird gern von der „deeskalierenden Wirkung“ geschwärmt, die der Taser habe, wenn sein Einsatz angedroht wird. Dabei ist einerseits zu beachten, dass die Androhung des Taser auch eine direkte Eskalation nach sich ziehen kann. Vor allem aber ist dieses Verständnis von Deeskalation abzulehnen. Denn der Taser wird, wie wir gesehen haben, gerade nicht in besonders gefährlichen, sondern in Routinesituationen eingesetzt. In solchen Alltagssituationen mit dem Tasereinsatz zu drohen, ist rechtlich mehr als zweifelhaft und aus einem freiheitlichen Staatsverständnis heraus abzulehnen. Es handelt sich gerade nicht um Deeskalation, sondern das unverhältnismäßige Erzwingen von Gehorsam in Bagatellsituationen. Die Angst mag kurzfristig wirken, sie zerstört aber langfristig das Vertrauen in die Polizei.
Die Evaluation aus NRW hat ergeben, dass die Akzeptanz der Bevölkerung daran gebunden ist, dass Taser nur in besonderen Gefahrensituationen als Ersatz für eine Schusswaffe und ausschließlich gegen „Schwerkriminelle“ genutzt werden. Das wiederum entspricht, wie oben schon dargelegt, aber gar nicht ihrer tatsächlichen Nutzung. Die Akzeptanz in der Bevölkerung zur tatsächlichen Nutzung von Tasern ist also deutlich geringer. Die Autor*innen der Studie weisen extra darauf hin, dass die Diskrepanz zwischen akzeptierten und tatsächlichen Einsatzverhalten das Ansehen der Polizei schädigen kann.
Der Einsatz von Tasern führt also nicht zu weniger Schusswaffengebrauch, sondern zu zusätzlichen Einsätzen von einem riskanten Mittel, das im schlimmsten Fall Menschenleben kostet und auch im besten Fall reihenweise vermeidbare Verletzungen hervorruft und das Vertrauen in die Polizei beschädigt.
Gewerkschaftliche Solidarität?
Warum also fordern führende Sozialdemokrat*innen das Einführen des Tasers? Meist wird auf die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verwiesen, die sich – wie alle anderen Polizeigewerkschaften auch – seit Jahren zumindest mehrheitlich für den Taser stark macht.
Grundsätzlich ist es richtig, auf Gewerkschaften zu hören – aber nur dort, wo es um Arbeitsbedingungen, Bezahlung oder Entlastung geht. Wenn eine Gewerkschaft jedoch mehr Waffen und Eingriffsbefugnisse fordert, überschreitet sie ihren eigentlichen Auftrag. Dann agiert sie nicht als Interessenvertretung von Beschäftigten, sondern als sicherheitspolitischer Lobbyverband.
Die SPD legt hier einen desaströsen Spagat hin: Wir ignorieren die GdP, wenn sie bessere Arbeitsbedingungen und Löhne fordert, aber springen ihr sofort zur Seite, wenn sie neue Waffen will. Das ist keine Gewerkschaftssolidarität, das ist eine innenpolitische Bankrotterklärung.
Taser und Sozialdemokratische Innenpolitik
Taser schützen also nicht die Betroffenen – sie sind kein Ersatz, sondern ein Zusatz zur Schusswaffe, der besonders Menschen in psychischen Ausnahmezuständen trifft und keine „Schwerkriminellen“. In NRW werden sie stetig häufiger und in immer weniger vertretbaren Situationen eingesetzt. Dabei birgt ihr Einsatz enorme medizinische Risiken, und ihre Androhung erzwingt Gehorsam, statt zu deeskalieren. Polizist*innen werden nicht geschützt, da das Gerät technisch zu unzuverlässig ist. Insgesamt gefährden Taser das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei, weil sie für mehr unverhältnismäßige Gewalt sorgen.
Sozialdemokratische Innenpolitik darf nicht dem Narrativ einer immer weiter aufrüstenden Polizei folgen – und schon gar nicht die CDU dabei rechts überholen. Sie muss auf die Kommunikationsfähigkeit der Polizist*innen setzen und ihnen die richtigen Werkzeuge an die Hand geben. Der Taser gehört nicht dazu.
Autor:
Gidion Zieten
Gidion ist Juso aus Freiburg. Er arbeitet im Wirtschaftsstrafrecht und promoviert in der Kriminologie, nachdem er ein Masterstudium der Kriminologie in Kapstadt und das erste juristische Staatsexamen in Heidelberg abgeschlossen hat. In seiner Forschung und politischen Arbeit beschäftigt er sich unter anderem mit der Frage, wie evidenzbasierte Kriminalpolitik in politische Prozesse eingebracht werden kann. Politisch war er bei den Jusos und der SPD in Heidelberg aktiv und hat dort unter anderem die Hochschulgruppe der Kritischen Jurist*innen Heidelberg mitbegründet.
