„Wir schaffen das“ – Ade!

Veröffentlicht von KONTRA Redaktion am

„Syrien sieht schlimmer aus als Deutschland 1945.“ Mit dieser Aussage hat Außenminister Johann Wadephul (CDU) auch in den eigenen Reihen für Aufregung gesorgt. Der Hintergrund: Nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 kehrt in Syrien nach jahrelangem Bürgerkrieg endlich wieder so etwas wie Stabilität ein. Eine Stabilität, die in der Union zunächst vor allem dazu führt, dass fast unisono eines gefordert wird: Abschiebungen. Das schwarze Schaf der schwarzen Partei ist Wadephul. Nach seinem Besuch in einem Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus berichtet er von einem Ausmaß an Zerstörung, das er noch nie gesehen habe. Sein Fazit: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“ Was das bedeutet, ist klar. Der Außenminister rechnet nicht damit, dass kurzfristig eine große Anzahl an Geflüchteten freiwillig nach Syrien zurückkehren wird. Von Abschiebungen möchte er von „ganz wenigen Ausnahmefällen“ – gemeint sind syrische Straftäter – zunächst absehen.

Von den Grünen und der SPD erntet Wadephul für Aussagen wie diese Beifall. Im Gespräch mit dem Handelsblatt lobt etwa Ralf Stegner (SPD) das Vorgehen des Außenministers ausdrücklich. Er sagt, Wadephul habe sich so geäußert, wie er das von einem Vertreter der gemeinsamen Bundesregierung angesichts der furchbaren Kriegszerstörung in Syrien erwarte. Und weiter: „Humanität als Maßstab und Kompass zu betrachten und nicht als Gegensatz zu unseren nationalen Interessen zu begreifen, wie das rechte Populisten tun, entspricht nicht nur meinen Grundwerten als Sozialdemokrat, sondern steht auch einer C-Partei ganz gut zu Gesicht.“ Allerdings scheint Wadephul so ziemlich das einzige Mitglied der C-Parteien zu sein, das sich Humanität als Maßstab und Kompass zu Gesicht stehen lässt. So teilen beispielsweise Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), Bundeskanzler Friedrich Merz und Bundesfraktionschef Jens Spahn (beide CDU) die Einschätzung des SPD-Außenpolitikers Stegner offenkundig überhaupt nicht. Dobrindt spricht der Rheinischen Post gegenüber davon, dass er noch in diesem Jahr eine Vereinbarung mit Syrien bezüglich der Abschiebungen treffen möchte, um dann „zunächst Straftäter abschieben und später Personen ohne Aufenthaltsrecht“ zurückführen zu können. Beim Bundeskanzler klingt das ganz ähnlich. Er gibt an, sich bei dem syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa persönlich dafür einsetzen zu wollen, schnelle Abschiebungen zu ermöglichen, denn: „Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Es gibt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland.“ Außerdem gehe er davon aus, dass viele Geflüchtete freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren würden und dass man „diejenigen, die sich dann in Deutschland weigern, in das Land zurückzukehren, selbstverständlich auch in Zukunft abschieben“ könne. In dieser Hinsicht hält er es also mit Spahn, der es für eine „patriotische Pflicht“ erklärt, „dass man seine Heimat wieder aufbaut, dass man dort mithilft. Und das gilt auch für die syrischen Flüchtlinge hier im Land. Natürlich sollen sie zu Hause mithelfen.“

Wie wenige syrische Geflüchtete allerdings entgegen der Prognosen des Kanzlers und seines Fraktionschefs freiwillig zurückkehren, macht ein Blick auf die Zahlen deutlich. In Deutschland leben insgesamt knapp eine Millionen Syrer, von denen nicht einmal ein Drittel die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat. Laut Panorama sind allerdings erst ungefähr 4.000 von ihnen nach Ende des Bürgerkriegs in ihr Herkunftsland zurückgekehrt (Stand August 2025). Das hängt auch damit zusammen, dass das derzeitige Anreizsystem, das Geflüchtete zu einer freiwilligen Rückkehr bewegen soll, alles andere als attraktiv ist: Wer sich als Einzelperson bereiterklärt, nach Syrien zurückzukehren, bekommt 1.000 Euro, pro Familie stehen maximal 4.000 Euro in Aussicht. Kein Wunder also, dass Jens Spahn plant, diese Summen zu erhöhen. Allerdings müsste man sich auch dann die Frage stellen, wie viele syrische Staatsangehörige wieder in ihr Heimatland ziehen wollten. Denn die Lage vor Ort bleibt eine katastrophale. Laut UNICEF benötigen 16,5 Millionen Menschen in Syrien humanitäre Hilfe – mehr als die Hälfte der Einwohner. Außerdem verschärfe eine große Zahl an Rückkehrenden die ohnehin schwierige Situation umso mehr, da es an nutzbaren Wohnungen, Wasser, Strom, einfacher Gesundheitsversorgen und Jobmöglichkeiten fehle. Fordern Merz und seine Parteikollegen also eine schnelle Rückkehr der Syrer – egal, ob freiwillig oder durch Abschiebungen –, dann schadet das nicht nur den in Deutschland lebenden Syrern, sondern auch Syrien selbst. Und appelliert Spahn an die patriotische Pflicht, so würden die Syrer diese eher erfüllen, indem sie gerade nicht in ihr Heimatland zurückkehren, um Syrien nicht noch weiter zu belasten.

Doch wie kommt es dann, dass solche Forderungen etwa ein Jahr nach dem Ende des syrischen Bürgerkriegs so lautstark durch die Medien gehen? Vor allem sind sie wohl als Symptom von Dobrindts insgesamt restriktiver Migrationspolitik zu verstehen. Doch es liegt auch an BILD-Schlagzeilen wie dieser: Syrer zehn Mal mehr kriminell als Deutsche. Und an Statistiken wie der, dass nur ein knappes Drittel der syrischen Geflüchteten in Deutschland arbeitet. Zu solchen Zahlen führen einerseits die offensichtlichen Probleme im Asylsystem: Die Lebensbedingungen in Flüchtlingsheimen, die verspätete Ausstellung einer Arbeitserlaubnis, fehlende Sprachkurse, bürokratische Hürden, Armut und vieles mehr. Andererseits sind Statistiken wie diese ohnehin mit Vorsicht zu genießen: Kleinere Gruppen sind in prozentualen Berechnungen häufig überrepräsentiert, Straftaten, an denen Migranten beteiligt sind, werden öfter angezeigt als von Deutschen begangene und die Polizei kontrolliert im Durchschnitt häufiger migrantische Personen als nicht-migrantische. Und was den Arbeitsstatus der syrischen Geflüchteten angeht, so sollte betont werden, dass etwa ein Fünftel aktiv arbeitssuchend ist und dass von den Millionen in Deutschland lebenden Syrern etwa 200.000 Kinder sind. Als arbeitslos gemeldet sind laut der Bundesagentur für Arbeit nur knappe 15 Prozent – und eben nicht 75 Prozent, wie man auf den ersten Blick annehmen würde.

Möchte Dobrindt also „zwischen Menschen, die gut integriert sind und arbeiten, und solchen ohne Anspruch auf Asyl, die von Sozialleistungen leben“ beim Abschieben unterscheiden, ist das gar nicht so einfach. Wer gilt als gut integriert? Nur das Viertel, das schon arbeitet und eingebürgert ist? Oder auch die über 250.000 Menschen, die gerne arbeiten würden, es aber nicht können – etwa, weil sie viel zu spät eine Arbeitserlaubnis bekommen haben und jetzt keinen Arbeitgeber mehr finden, der sie anstellen möchte? Dass es das Ziel sein sollte, die gerade einmal 55 syrischen Gefährder abzuschieben, ist unstrittig. Doch wenn alle syrischen Geflüchteten ohne dauerhafte Aufenthaltserlaubnis abgeschoben werden, wenn man Communities auseinanderreißt und Menschen bestraft, die sich nicht aus Eigenverschulden, sondern wegen eines kaputten Asylsystems in keinem aktiven Anstellungsverhältnis befinden, wenn man Kinder, die ihr Leben lang kein anderes Heimatland gekannt haben außer Deutschland, in das zerstörte Syrien zurückschickt – dann hat Deutschland in seiner humanitären Verantwortung versagt.